Gedenkveranstaltung an Klaus R.
Am 28.05.2024 gedachten autonome Antifaschist:innen in Leipzig der Ermordung Klaus R.s durch Neonazis vor 30 Jahren. Der Mord geschah in einem Haus auf der Lützner Straße. In welchem Haus genau ist heute kaum mehr herauszufinden, daher wurde als Ort für das Gedenken das Haus gewählt, an welchem autonome Antifaschist:innen bereits vor Jahren eine Gedenkplakette angebracht haben. Es wurde ein Redebeitrag verlesen, der sich mit der Ermordung Klaus R.s, den juristischen Folgen für die Nazi-Täter und der Bedeutung und Situation des autonomen Antifaschismus heute beschäftigte, dazu wurden Plakate geklebt. An der Plakette, die an Klaus R. erinnert, wurden Blumen niedergelegt und ein paar Grablichter entzündet.
Eine erst kürzlich neu angebrachte Plakette neben der Eingangstür eines Cafés wurde bereits am Tag nach der Anbringung von Unbekannten abgerissen.
Wir dokumentieren hier den Redebeitrag:
Am 28. Mai 1994 wurde der 43-jährige Klaus R. von seinen Nachbarn, mehreren jungen Neonazis, die eine Wohnung im gleichen Haus besetzt hielten, zu Tode geprügelt. Die Neonazis traten mit Stiefeln auf ihr Opfer und schlugen mit Boxhandschuhen solange auf Klaus R. ein, bis dieser starb. Ein Jahr später verurteilte das Leipziger Landgericht den 18-jährigen Hauptangeklagten wegen versuchten Totschlags und schwerer Körperverletzung zu fünf Jahren Haft. Die fünf Mittäter kamen mit niedrigeren Haft- und Bewährungsstrafen davon. Klaus R. ist kein anerkanntes Opfer rechter Gewalt in Leipzig. Seit der Wende sind in Leipzig und den beiden umliegenden Landkreisen mindestens zehn Menschen durch rechte Gewalt zu Tode gekommen (Klaus R., Horst K., Mario L, Bernd Grigol, Achmed Bachir, Nuno Lourenço, Thomas K., Karl-Heinz Teichmann, Kamal Kilade und André K.), bei drei weiteren Fällen liegt eine rechte Tatmotivation nahe (Gerhard Sch., Gerhard Helmut B. und Christel G.). Sie starben, weil sie nicht in das Weltbild der Täter passten.
An der Lützner Straße 97/99 hängt in Erinnerung, an den vor 30 Jahren verübten Mord eine Gedenktafel für Klaus R. Ob es sich bei dem Haus tatsächlich um den Ort handelt, an dem Klaus R. seinen Mördern zum Opfer fiel, ist unklar. Recherchen haben keine weiteren Anhaltspunkte ergeben, außer, dass es sich damals um ein Haus in Leipzig-Lindenau, genauer auf der Lützner Straßen handeln sollte. Exemplarisch haben Genoss:innen am Haus gegenüber eine inoffizielle Gedenktafel angebracht und somit eine lebendige und selbstbestimmte Erinnerungskultur von unten praktisch werden lassen. Denn noch sind und wurden – und das nicht nur in Leipzig – Menschen wie Klaus R. nicht als Opfer faschistischer Gewalt anerkannt; das rechte Weltbild der Täter wird von den Gerichten oft nicht als ausschlaggebend für die Gewalt angesehen. Doch gerade bei FaschistenInnen gehört Gewalt und die Bereitschaft diese bis zu dem Tode konsequent anzuwenden zum Kern ihrer Ideologie. Das Haus, an dem die Erinnerungstafel für Klaus R. angebracht ist, steht heute leer. Es erscheint wie eine Erinnerung an das Lindenau der 90er Jahre, welches gerade durch viel Leerstand und fast ruinierte Häuser geprägt war; an das Lindenau, in dem Klaus R. lebte und starb.
Heute so scheint es, hat sich Lindenau verändert. Vorbei sind die Zeiten in denen viele Häuser leer stehen, Neonazis Wohnungen besetzt halten, es das bundesweit bedeutsame Nazizentrum in der Odermannstraße noch gibt oder in der faschistische Gewalt auf der Straße alltäglich ist und Polizeistreifen zur Seltenheit gehören. Neben den gestiegenen Mieten und der Aufwertung des Stadtteils ist es vor allem antifaschistischen und autonomen Engagement zu verdanken, dass die Neonazistrukturen vor Ort zurückgedrängt worden sind. Der Ruf der antifaschistischen Hochburg Leipzig ist zwar nicht nur ein Gerücht, aber damit es nicht nur zu einem Echo vergangener Zeiten wird, braucht es eine stetige, beharrliche und selbstorganisierte antifaschistische Praxis von unten. Der Kampf gleicht dabei eher einem Ausdauerlauf als einem Sprint und wird einen langen Atem benötigen.Zwar ist die faschistische Straßengewalt seit den sogenannten Baseballschläger-Jahren zurückgegangen, doch ist sie auch aus Leipzig nie verschwunden, genausowenig wie alteingesessene Neonazistrukturen – trotz des Zurückdrängens – verschwunden sind. Es ist dem beharrlichen Eingreifen von Antifas zu verdanken, dass wir, als Autonome, Linksradikale und andere von faschistischer Gewalt Betroffene, uns heutzutage relativ frei durch die Straßen unserer verschiedenen „Szenekieze“ bewegen können. Aber antifaschistische Politik, sei es von Staatsseite oder aus autonom organisierten Strukturen, hat in den letzten Jahren an Kraft, Dynamik und Stärke verloren. Dass auch bei autonomen Antifaschist:innen das Engagement zuletzt nachließ, ist dabei den veränderten Bedingungen und nicht der Moral der Einzelnen zuzuschreiben. Der Rückgang ist Marker für die sich verändernde Gesellschaft, die realen Ohnmachtserfahrungen und der sich verschlechternden Organisiertheit der radikalen Linken allgemein. Damit meinen wir nicht nur das Zerfallen von Gruppenstrukturen, sondern gerade die Sprachlosigkeit gegenüber dem Schrecken der sich verdichtenden faschistischen Gefahr. Dies führt dazu, dass inhaltliche Bestimmungen zugunsten moralischer oder autoritärer Bedürfnisse beiseite geräumt werden. Der Blick auf das, was es zu verändern gilt, wird verstellt. Zu überwinden aber gilt es eine Gesellschaft, welche die Gewalt schon heute für ihren Erhalt benötigt, vor allem aber bereit ist für Schlimmeres. Die faschistische Gefahr gilt es derzeit zurückzuschlagen – aber dies gegen die Wurzeln der Schreckens, nicht mit ihr; das bedeutet: gegen den Staat und seine Apologeten und nicht mit ihm.
Wir können in Leipzig zurückschauen auf erfolgreiche antifaschistische Kämpfe, auf ihnen ausruhen können wir uns nicht. Denn dass die Linke in einer desolaten Verfassung ist, ist kein Geheimnis; dass der Faschismus sich immer weiter Bahn bricht ist, nicht nur am Erstarken von Partein wie der AfD oder den Freien Sachsen zu beobachten, sondern eine gesamtgesellschaftliche Bewegung. Die Verhärtung des Denkens, die Härte der Politik oder der Einzelnen untereinander fallen zusammen und sind Vorboten eines Faschismus, den es inhaltlich zu erfassen und dem es praktisch entgegenzutreten gilt.
Wir stehen heute hier um Klaus R. zu gedenken. Klaus R. war vermutlich alleine, als die Faschisten das taten, wonach ihnen auch noch heute der Sinn steht – Mord und Totschlag. Ihrer Gewalt müssen wir Einhalt gebieten. Das wird uns aber nur gelingen, wenn wir uns über die Bedingungen faschistischer Gewalt im Klaren sind und dabei nicht nur das Gestern, sondern auch das Heute in den Fokus nehmen.
alea – Leipzig, Mai 2024